Ab dem 1. Juli werden einige neue Regeln eingeführt. BHV-Bezirksvorsitzender Pius Waldmann erklärt, welche Neuerungen aus seiner Sicht sinnvoll sind, wo Probleme liegen und was den Schiedsrichtern die Arbeit erschwert.

Siebter Feldspieler
Neue Regel: Der Feldspieler, der fliegend für den Torwart eingewechselt wird, muss kein andersfarbiges Leibchen mehr tragen, darf dann aber den eigenen Torraum nicht betreten.

Frage: Leidet darunter nicht die Übersichtlichkeit des Spiels? Glauben Sie, dass diese Möglichkeit auch verstärkt genutzt wird, wenn keine Spieler Strafzeiten absitzen?

Waldmann: Eindeutig wird das Kampfgericht hinsichtlich von Wechselfehlern noch mehr gefordert sein. Ich glaube nicht, dass sich der siebte Feldspieler in den unteren Klassen durchsetzen wird. Zum Ausgleich einer Unterzahl kann dieses taktische Mittel schon eher eingesetzt werden. Sinnvoll ist das Ganze sowieso nur als Auslösehandlung für eine eingeübte Passfolge. Ohne konsequentes Training wird die Variante aber meist nach hinten losgehen. Ein leeres Tor trifft man auch in den unteren Klassen aus 30 Meter Entfernung.

Passives Spiel
Neue Regel: Wenn der Schiedsrichter „passives Spiel“ anzeigt, sind nur noch sechs Pässe erlaubt, bevor Zeitspiel abgepfiffen wird.

Frage: Macht das die Arbeit der Schiedsrichter nicht eher komplizierter als einfacher? Wie definiert man, was ein Pass ist und was nicht?

Waldmann: Was ein Pass ist, ist schon geregelt. Trotzdem ist das die schwierigste Regelneuerung, da die Pässe ja weitergezählt werden sollen. Das heißt, die Abwehrspieler werden immer versuchen, einen Abschluss mit taktischen Fouls zu erhindern. Wenn man dann zum Beispiel nach dem dritten Foulspiel sechs Pässe gespielt hat, kann die angreifende Mannschaft einen Freiwurf nur noch direkt mit einem Torwurf oder nach einem Zuspiel zu einem Rückraumbomber ausführen. Dies ist dann plötzlich ein zugelassener siebter Pass. Theoretisch kann das nach einem weiteren Foulspiel so weitergehen. Ich meine, dass es im Handball die Schiedsrichter so schon schwer genug hatten. Die Regel ist unheimlich kompliziert und löst nicht das Grundproblem. Sie vereinheitlicht nämlich nicht den Zeitpunkt, ab dem die Schiedsrichter das passive Vorwarnzeichen, den gehobenen Arm, zeigen, ab dem dann gezählt werden muss.

Blaue Karte
Neue Regel: Zeigt der Schiedsrichter nach einem Platzverweis die Blaue Karte, wird ein schriftlicher Bericht verfasst, die Disziplinarkommission ist für Sanktionen zuständig.

Frage: Braucht es das? Bisher gab es doch die Rote Karte mit Bericht? Birgt diese Regel nicht noch mehr Druck auf die Schiedsrichter, sich sofort für eine Sanktion zu entscheiden (und mit dem Unmut des Publikums umzugehen)?

Waldmann: Das sehe ich nicht so kritisch. Auch bisher mussten sich die Schiedsrichter sofort festlegen und den Bericht dem Kampfgericht und den Mannschaftsverantwortlichen direkt anzeigen oder eben auch nicht. Die Karte ist wohl nur für die Zuschauer zur Verdeutlichung des Geschehens gedacht. Im Regeltext steht: Die Schiedsrichter zeigen zuerst die Rote Karte und später, nach kurzer Diskussion, die Blaue Karte.

30 Sekunden
Neue Regel: Grobe Regelwidrigkeiten werden nicht mehr in der ganzen letzten Minute, sondern erst in den letzten 30 Sekunden besonders hart geahndet.

Frage: Hilft diese Regelung dem Spiel tatsächlich weiter? Kommen in den letzten 30 Sekunden mehr harte Fouls vor als in den 30 Sekunden zuvor?

Waldmann: Die 30 Sekunden sind nicht die hauptsächliche Änderung der neuen Regel, wobei sich wirklich gezeigt hat, dass eine Minute zu lange war für die vielen Sonderregeln. Bisher gab es in der letzten Minute für Vergehen wie Spielverzögerung, wenn der Ball gar nicht im Spiel war, eine Rote Karte mit Bericht und darauffolgend eine Sperre für den verursachenden Spieler. Und dies ganz unabhängig vom Spielstand. Sperren waren an der Tagesordnung. Die benachteiligte Mannschaft hatte davon gar keinen Vorteil. Jetzt soll es dafür einen Siebenmeter für die angreifende Mannschaft geben, sodass sie die Möglichkeit erhält, auszugleichen oder mit einem Tor zu gewinnen. Die Regeländerung klingt im ersten Ansatz logisch, und sie entspricht mehr dem Spielgedanken. Für die Schiedsrichter ist sie weiterhin alles andere als einfach.

Verletzter Spieler
Neue Regel: Wird ein Spieler auf dem Feld behandelt, darf er erst wieder nach drei abgeschlossenen Angriffen seiner Mannschaft zurück aufs Feld.

Auch hier die Frage: Braucht es das? Handballer gehen meist nur vom Feld, wenn wirklich etwas passiert ist. Und dann dauert die Behandlung meist länger als drei Angriffe.

Waldmann: Es stimmt, dass die Handballer speziell bei der letzten EM für ihre Fairness und ihre Fähigkeit, auch mal einzustecken, gelobt wurden. Natürlich gibt es aber auch bei uns die bösen Buben, die allzu gerne mit Schauspielereien Vorteile erzielen wollen, und sei es nur, um einen Gegenzug zu unterbinden. Trotzdem meine ich, dass es diese Regeländerung nicht gebraucht hätte. Sich nicht sofort behandeln zu lassen kann auch negative Folgen haben.

Zeitpunkt der Einführung
Frage: Wie schätzen Sie es ein, dass die Regeländerung schon bei den Olympischen Spielen eintritt? Die Teams kommen aus dem laufenden Betrieb mit den alten Regularien und müssen beim Höhepunkt mit relativ weitreichenden neuen Regeln zurechtkommen. Wer profitiert davon?

Waldmann: Das sind die weltbesten Handballer, die kommen mit so was locker zurecht. Grundsätzlich muss man aber eine derart überstürzte Einführung neuer Regeln schon kritisieren. Die Probleme kommen vor allem in den unteren Klassen zum Anfang der neuen Saison.

Jugendhandball

Frage: Im Jugendbereich wird im Allgäu mit dem Modus gespielt, wonach für das Spielergebnis auch zählt, wie viele verschiedene Torschützen eine Mannschaft hat. Wie beurteilen Sie die Regel? Kommt diese Neuerung flächendeckend in Schwaben?

Waldmann: Einen vom Regelwerk oder der Spielordnung abweichenden Spielbetrieb können die Bezirke nur im Kinderhandball bis zur E-Jugend und abgeschwächt noch in der D-Jugend organisieren. Die Idee mit der Förderung mehrerer Torschützen ist bekannt und soll die Kinder dazu bringen, alle am Angriffsspiel zu beteiligen. Wir hatten bis zur vergangenen Saison bis zur E-Jugend eine andere Sonderregel mit derselben Zielsetzung. Die Spielerinnen oder Spieler durften den Ball nur einmal tippen. Damit sind alle Kinder besser ins Spiel integriert worden, und es gab nicht mehr den alles allein entscheidenden „Superstar“ im Team. Beschlossen werden alle Sonderregelungen im Bezirk Schwaben von der sogenannten Jugendvertretersitzung aller Vereine. Verständlicherweise wollen die Kinder aber immer so spielen wie die Erwachsenen, und bedauerlich für mich haben die Betreuer einige unserer Sonderregelungen, die alle der Förderung des Zusammenspiels dienen sollten, wieder zurückgenommen. Wir hatten uns an den Württembergern orientiert, die in dieser Beziehung schon immer sehr fortschrittlich waren. Geblieben ist beispielsweise der Penalty bei den ganz Kleinen, für die ein Siebenmeter oftmals keine wirkliche Torchance ist.

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